Tauchgänge 8&9

„43“

43 ist ein Straßenname. Nichtsahnend donnerte ich aus Stratford in Richtung Mitte. Taupo. Irgendwo dahin sollte es gehen. Und wenn heute das Gefühl einer einsamen Straße schon oft gekannt ist, dort traf es mich zum ersten Mal. Das Land zäh und unbeugsam strahlt es dadurch Schönheit. Ach war das schön, will man schreiben. Als Mitteleuropäer kennt man solche Abschnitte der Welt kaum. 43 ist einfach nur ein Highway. Aber der wird mal Sandpiste, mal Hügelschlängelstraße. Auf den Spitzen der Berge einer vergessenen Welt sieht man ins Unendliche. Yey, esoterische Weltschmerzbuchstaben samt Soundtrack dazu aufgenommen? Na wenn, dann aber richtig. So mit Klavier und Dramatik bis zum Dröhnen. Ab in die Einsamkeit, die einem die Gegend dort gibt. So etwas gab es nicht noch einmal bisher.

„1770“

Die nächste Zahl auf dem Album verneigt sich vor einem weiteren lyrischen Ort am Wasser.  1770 ist ein Versteck an der Ostküste Australiens. Ein paar noble Häuser stehen dort für noble Persönlichkeiten. Und so klein und eingeschlungen die Landschaft dem Ort Verborgenheit bietet – genau so entrinnt man dort dem Leben. Wenn man will. Schnipp, weg. Man kann sich dort auf einen Strand setzen und bei Ebbe hören die Sandkrabben neben einem beim Gitarrespielen zu. Die Gegend ist einer dieser gemalten Buchten, die man nicht so gerne glaubt. Zu übertrieben, ja klein und süß verpackt in der Natur. Stimmt ja gar nicht. Bis man da ist. Die Menschen fischen in ihren Booten schaukelnd im Hin und Her der Gezeiten. Sie gehen raus bis zum südlichen Ende des Riffs, besuchen Lady Musgrave Island. Oder warten am östlichen Kliff auf die Sonne. Das Leben in 1770 träumt in jeden Tag neu hinein. Gäste auf kommen und gehen aber nichts dort stört die Dinge wie sie waren oder sind. Schutz vor einem getoasteten Rücken bietet es dennoch nicht.

Veröffentlicht am
Kategorisiert in Allgemein

ooceeyaan Tauchgang Nr. 7

„Schau Hin und Her“

Wenn man stundenlang nur sitzt, nichts anderes tut, steht dann nicht alles still? Selbst ein windschnittiges Flugzeug in 10000m Höhe in seinem hetzenden Flug. Irgendwann steht es still. Denn schaut man hierhin oder dorthin – in die Kabine oder aus dem Bullauge – es bleibt irgendwann stehen. Besonders in der Nacht sieht man fast nichts mehr, was mit einer Bewegung, einem Fortschritt zu tun hat.

Als ich da saß und realisierte, was ich gerade unternehme, da kamen die Vögel, Piepmätze mit ihren Fragen. Die Pixelweltkarte auf dem Bildschirm verschob das Flugzeug über sich. Oder andersherum. Abnicken und Aufwachen wechselten sich ab und während der kurzen Wachphasen tippte ich mich durch das nostalgisch designte Betriebssystem der Multimediarückenlehne.

Ein paar Worte kritzelte ich sinnlos ins Heft. Malte an ihnen Beschäftigung suchend herum. Ich wartete nur.  So kam die Nacht. Die erste über den Wolken, die erste Mondnacht im Flugzeug. Ich sah sie übermüdet und neben mir aus dem Fenster. Der Blick hinaus verband sich mit der Fantasie. Ich hatte keine Gitarre. Aber dieses Stück ist der Beweis, dass ein Gefühl einen Song in 10 Minuten diktieren, ihn halten und bei der nächsten Gelegenheit mit einem Instrument, zur Welt bringen kann.

„Schau Hin und Her“ ist ein Song zwischen Orten, zwischen Zeiten, im Übergang begriffen. Oder Untergang, wie Nietzsche das sagen würde.

Veröffentlicht am
Kategorisiert in Allgemein

ooceeyaan Tauchgang Nr.6

Song Nr. 12 „Gehst Heim“

Und nach jeder Heimreise kann man sich die Frage stellen, wie gut die Entscheidung war. Ist der Songname eine Frage oder eine Aussage? Dort an Cairns’ Strand stellte sich diese Frage wie immer auch nach allen anderen Aufenthalten down under. Auf der Wiese am Wasser saß ich und spielte ein paar leise Töne, die irgendwann eine Melodie wurden. Summte sie weiter, schaute aufs Meer. Und während die Musik langsam entstand, schwebte das rastlose Gefühl schon irgendwo draußen am Riff. Da wo „Weg“ das noch Unbekannte und weit Entfernte sich vorstellt, trauert das letzte Stück schon etwas. Es verliert sich am Ende und wächst sich selbst zu einem Gefühl des: Wiederkommen! Unbedingt!

Wenn man die letzten Dinge erledigen muss, bevor es wieder in den Flieger geht, die kleinen Abschiede vornimmt, ja. Dorthin passt das Gefühl dieses Stücks. Nicht zu traurig, nicht zu freudig. Man kann sich fragen, ob es eine Zusammenfassung sein will oder soll. Kann es das überhaupt sein? Heimfernweh. Neuschöpfung. Das Stück bleibt offen und streckt am Ende Hände aus. Neue Punkt zum Anknüpfen.

Veröffentlicht am
Kategorisiert in Allgemein

ooceeyaan Tauchgang Nr. 5

Song Nr. 3 „Riese“

Ich spielte dieses Jahr auf einem Festival im australischen Staat Victoria. Später war ich damit betan, eine open stage zu hosten und einige meiner Songs zu spielen. Daraufhin sprach mich eine Frau an, die sich selbst als Māori vorstellte. Sie wollte unbedingt wissen, was dieser eine Song zu sagen hatte. Da ich auf Deutsch das Ding performierte, hatte sie natürlich keine Ahnung. Ich erzählte ihr dass ich „Riese“ am Hang des Berges Mt. Taranaki geschrieben hatte. Windstill und einsam zogen die Wolken unterhalb vorbei, man konnte den Ozean blass in 30km Entfernung sehen und war doch ganz in den eigenen Sinnen verschwunden. Der Berg und seine Kraft auf die Menschen dort. Die Māori dort verehren ihn noch immer auf eine sehr spirituelle Weise. Den Gipfel besteigt man nicht, aus Respekt. Ich schrieb eine englische Version, nahm sie auf und schickte sie aus Adelaide der Frau. Stolz bin ich darauf, dass ich im Text, den ich vor 5 Jahren schrieb genau diese Dinge erfasste, die die Māori dieser Gegend ähnlich wertschätzen. So aus dem Bauch heraus. Dass sich so eine Geschichte irgendwie so wiederfindet, das erwartete ich nicht. Den Zufall denkt sich keiner aus.
Der Berg und die Welt dort. Mit aller Eiseskraft, dem Wind und der Gefahr. Alles rein in das Geklampfe und die Produktion. Und wehe einer fragt nach Dur oder Moll.

Veröffentlicht am
Kategorisiert in Allgemein

ooceeyaan Tauchgang Nr. 4

Song Nr. 4 – Tal

Auf einer einsamen Straße, wie kann es da noch leerer werden? Versteckt in den gefalteten Hügeln zwischen Stratford und Taumarunui liegt ein Dorf. Knapp 30 Einwohner. Aussteiger, Eigenbrötler und Hinter-den-Fenster-gucker. Eine alte Schule, seit Jahrzehnten außer Betrieb, der Sportplatz ist ein Zeltplatz jetzt. Das Dorf selbst war ein Warenstützpunkt all derer, die auf ihren Farmen irgendwo im Grün noch versteckter lebten als diese Gegend ohnehin schon ist. Viele Jahre ist das her, ich sah den Verfall.

Der Betreiber des Zeltplatzes wohnt in einem Wagen dessen Tür auf und zu knallt. Läuft man über die Wege durch das Dorf sind die Schritte und der Wind in den Hügeln die einzigen Geräusche. Manche Häuser verfaulen. Und der Friedhof selbst ist eine Zeitreise. Vor 50 Jahren wurde da vielleicht der letzte begraben. Bedrückend. Schön. Schaurig. Outside.

„Tal“ ist eines meiner Lieblingsstücke auf dem Album. Moll, na klar. Zerfallend und bröselig überschreitet es so schön einige Grenzen und fordert heraus. Na komm, komm! Unbedingte Kopfhörerpflicht.

Veröffentlicht am
Kategorisiert in Allgemein