Back At Byron

Dieses Mal von Süden. Vor gut elf Monaten reiste ich mit dem Bus aus Brisbane ab und erreichte an einem sommerregnerischen Abend das vom Neujahrsbesäufnis ausnüchternde Byron Bay. Ich blieb eine Woche und atmete den Geist des äußersten Nordostens von New South Wales. Oder mal Geographiefuchs: Am Cape Byron, der östlichsten Landspitze des australischen Festlandes.

Fast ein Jahr später gleitet der Surfer auf seinem Board über die elegant brechenden Wellen in die gemalte Bucht und wirft mir meine Erinnerungen aus der nassen Hosentasche in den weißen Strandsand. Back At Byron! Leicht Bekleidete säumen die Straßen, geben den Shops und Cafés ihr Geld, die Wellen purzeln wie seit tausenden Jahren auf den feinen Sand. Mein Kumpel Paul weilt seit ehedem durch die Gegend um Byron, seiner Heimat. Und ehe ich mich versehe, versuche ich neben all den Postkartenmotiven es aufs Neue zu finden.

Es – Versteckt sich zwischen den Hippieklamotten, die man im Spiegel sieht, sobald man eine Sonnenbrille probiert. Zwischen dem Duft von parfümiertem Stoff, zwischen den Kisten von Räucherstäben und Kaffee. Klemmt zwischen den fettigen Gitarrenakkorden groovender Rastafaris. Es springt dann hinaus auf die Straße, zwischen den Wabbershorts, den ärmellosen weiten Shirts, auf das Cap seines Trägers, von dort hinauf auf ein Palmenblatt und beobachtet den Weg des Windes vom Ozean, quer durch einen Wolkenberg in die Bucht. Der Turm von Byron versucht es in der Nacht gleich mir, leuchtet den Sichelstrand aus, unter den Wellen, unter den Muscheln – Nix. Und zwischen den Straßen – wo das Herz des Ozeandorfes klopft? Wo?

Es – Sobald ich die Grenze zum Byron Shire überschritt, hing es wie die Hitze in der Luft: Das Gefühl, da irgendwo an einem Ozean im Süden zu leben. An der Küste, direkt am Wasser. Den Surfstrand vor der Nase, die Sonne überall. Das Leben hier ist langsamer als anderswo, die Leute gehen vor der Arbeit entspannt zum Morgenschwimmen oder Surfen, haben ihren Kaffee, packen ein und arbeiten ihren Job. Schon heute sehe ich Paul in gut 30 Jahren am Strand sitzen, Gras rauchend, die Haare weiß, die Züge erfahren, langsam nickend. Er hat dann sein Leben ‚im Paradies‘ verbracht, wie er sagt. Nie lebte er anderswo, nur in Byron Bay. Fotos, Beweise einer Geschichte, zeigen die Anfänge, die Walstadtzeit und den Tourismus heute. Aber jedes Mal ist es da: Das nur schwer zu greifende Gefühl, ein Leben in dieser Wohltat zu verbringen. Man muss nie irgendwohin fahren, um ein schönes Motiv für ein Foto zu finden. Nie weit weg träumen, wo man gerade sein will. Hier in Byron Bay fühlen sich Tag wie Nacht an, als ob die Sehnsucht nach einem fernen, fernen blauen Ort am Pazifik ihr Ziel erreicht hat. Motor Stopp, aussteigen, wow sagen plus fühlen. Und das eigensinnige Gefühl namens Sehnsucht bestaunt die eigene Fähigkeit, überhaupt in der Lage zu sein, an einem Ziel anzukommen.

Vielleicht ist ein Teil davon das Anderssein der Umwelt: Wo man hingeht, fühlt man sich wohl. Man fährt ein paar Minuten und verbringt urzeitliche Stunden in Millionen Jahre altem Regenwald, steht unter 100m hohen Wasserfällen und wartet auf den nächsten Velociraptor hinterm Baum. Entspannt man dann auf einem Hügel des Byron ‚Hinterlandes‘, erblickt man das Drama der Natur: Ein nicht von Menschen formbares Abenteuer für die Augen klappt auf. Man hört noch immer das Meer rauschen, wie seit jeher. Die Bewohner der Gegend sagen dann immer einen Satz: „Byron and the coast here, that’s just a very beautiful part of the world.“ Wie banal und besiegend richtig. Manche meinen: „It never stopps being beautiful.“

Ich verneige mich respektvoll vor dem Tarnvermögens meines zu Erhaschenden: Dem Byron-Feeling. Worte können es nicht finden und doch macht jeder neue Anlauf mehr Spaß. Hierher zurückzukommen hat etwas magisches, kaum zu greifendes. Es ist da und füllt aus. Doch es bleibt ein guter Geist. Zwischen den warmen Wellen des Pazifiks. Sie spülen Lebensglück ans Ufer. Immerzu, seit Millionen von Jahren.