Fäden in den Geschichten der Welt

Butterfly Effect. Der Schmetterlingseffekt. Ein asiatisches Sprichwort meint: Was man tut, hat Konsequenzen. Ein Schmetterling kann mit seinen Flügen in China schlagen und in Argentinien ein Erdbeben auslösen. Lange her, seit sich der gleichnamige Film in meine Augen gegraben hat. Aber er bleibt präsent. Wie sich das asiatische Wort für mich in Terra Australis anfühlt, das geht in drei Sprüngen so:

I – Flügelschlag
November 2014. Ein Donnerstagnachmittag. Die Mildura Episode neigt sich dem Ende und ich bin auf einem Secondary College im Musikunterricht. Kids zocken Gitarren, Bässe, Drums, üben für einen Gig, der gleichzeitig ihre Benotung beinhaltet. Ich schaue mir den Unterricht an, mache Interviews mit Lehrer Luke Peak und schreibe danach einen Bericht über Musikunterricht in der Gegend Mildura. (Den gibt es hier zum Download) Da wachsen einem schon die Neidhörner, betrachtet man die Energie, die Ausstattung der Räume und die Teilnahme der Schüler im Unterricht. Klasse gemacht, tatsächlich spielen die Schüler in Musik auch Musik.

In einem kleinen Proberaum rede ich mit zwei Jungen, 15 und 16, sie arbeiten an einem Song. Gitarre, Bass. Bauen ihn zurecht, indem sie die passende Tonart für ihre Stimmen finden. Levi am Bass bekommt eine kleine Aufgabe von mir und hat mit ihrer Lösung den richtigen Fingersatz gefunden. Wir unterhalten uns über Musik, ich zeige den Jungs etwas auf dem Bass und gehe schließlich zu anderen Gruppen. Arbeite seriös, das Interview muss umfassend recherchiert sein, jawohl!

Am selben Abend einen Jazzgig gespielt, dann los ins Land. Die große Reise Mildura – Woodford begann. Durch die Grampiens nach Port Fairy, Great Ocean Road, Melbourne, Gippsland, bis an die Küste, dann malerisch nach Norden, Sydney, Port Macquarie, magic Byron, Brisbane, Woodford, Wahuu! Und tausend Eindrücke dazwischen.

März 2015. Samstagabend in Bruthen. Einen ganzen Tag Studio hinter mir, bin ich wieder im hübschen Ost- Gippsland. Ich stehe auf dem Holzdeck des rustikalen „Bruthen Inns“, dem lokalen Hotel, schaue nach Westen ins Tal und telefoniere mit Chris. Die Abendsonne wirft die letzten warmen Strahlen über die Berge bevor sie dahinter nach Europa brutzelt. Wir klären die Details für das Cullulleraine Exposed Festival. Alles cool, ach ja, da ist noch was Chris. Der Hals deiner Mandoline bricht ab, die Leimung geht auf. Ich wars nicht! Tschuuuummm. „Roight…“ Backe den besten Cheesecake und schmeiß’ gleich danach Fischsauce drauf. In dem Fall musste es sein.
Die Gippsland Woche geht gut weiter mit den Aufnahmen der Kinder in den Grundschulen und sehr ländlichen Eindrücken der Südküste.

II – Schwingungsfäden
April 2015 Cullulleraine Exposed. Am Freitagnachmittag richte ich den Van auf dem Zeltplatz ein, Samstag geht es los. Ein paar Musiker trudeln ein und ich erfahre von Tony, einem Songwriter und seinem Sohn, Levi. Gleich darauf lerne ich beide kennen. Etwas an dieser Begegnung raschelt im Hinterkopf und ich spule zurück, renne, springe über all die Küsten und Strände, die Grooves von Woodford und der Glut in Tamworth. Mildura! College, ach genau! Ja cool, wir kennen uns und labern über das und jenes. Australien wird kleiner. Dazu kommt seine Mutter Ana. Ihre Familie ist verwurzelt in Neuseeland, sie ist eine Maori. Als die drei ihr Camp errichtet haben, war ihre erste Frage: „Do you like nipples, Maik?“ Levi schaut auf, grinst, sein Dad dreht sich zu Ana um, ich fange an zu feixen. „Oh! Sorry sorry, the Kiwi-Accent! I mean „nibbles“, something to chew on, chips and sauces.“ Ja, so kann man’s auch machen.

Nach meinem Hauptgig am Samstag spiele ich später in der offiziellen Cullulleraine Open Camp Kitchen Stage. Levi + Eltern sind auch da. Ich spiele neben einigen anderen Songs meinen deutschen Song „Riese“. Als ich mit meinem Set fertig bin, kommt Ana zu mir, ihre Augen groß, die Hand zu mir ausgestreckt und fragt mich, welchen Song ich da gespielt habe, dieser Giant, der Riese? Der Flügelschlag, nur ist es einige Welten her.

Dafür ein Flashback
Oktober 2010. Nach 24 Stunden Flug, drei Stunden Autofahrt und etwas Schlaf sitze ich auf einem Plateau und sehe, wie Stille lebt. Vom Mt. Taranaki hinab liegen die sattgrünen Ebenen, die Wolken ziehen langsam näher, rollen die Hänge hinauf. Im Dunst der Ozean, hinter mir der steinerne Gipfel des alten Kolosses. Nach einer erforschenden Wanderung habe ich meine Gitarre bei mir und spiele, probiere, kritzele herum. Der Song „Riese“ entsteht dort auf den Hängen von Taranaki.

[bandcamp track=1669301723 bgcol=FFFFFF linkcol=4285BB size=grande]


wild und weich der schnee fällt vom himmel an diesem ort

am ende des pfades nur wolken warten dort
sie ziehn von weiten wassern sanft herauf
über felsen und bäche und wälder ziehn sie fort

die menschen hier vor langer zeit schauten nur zu dir wenn ein wunder entzweit ihr gefühl dafür
was die welt lebend hält, weil du schon lang thronst hier

zu dir aufgeschaut ist jedes haus nur ein kleiner fleck
wenn die sonne hoch steht sind deine hänge dem schnee versteck
den tod bringst du für all jene die achtlos sind
wenn sie so leichtfertig herzens dann meinen dich zu bezwing’

die menschen hier vor langer zeit schauten nur zu dir wenn ein wunder entzweit ihr gefühl dafür
was die welt lebend hält, weil du schon lang thronst hier

als könig erkannt sieht man ringsum von weitem seit jeher vergöttert – dein gewand
mit schnweeweißer pracht von den wolken erdacht ist dein leuchtender gipfel wunderland

ein einsamer riese auf den inseln der wolke, tausende jahre stehst du hier
ein eisiger riese auf den inseln der wolke, ewig thronst du hier


III – Beben
April 2015 Cullulleraine – Ana hörte meine englische Einleitung zum Song – der ist auf Deutsch, kein Mensch versteht ihn hier. Jetzt erzählt sie mir, dass ihre Familie und Vorfahren genau an diesem Ort lebten und leben, sie den Berg wie einen Gott verehren und ihr Geschick und Glück von ‚seinem‘ Wohlwollen abhängig sehen. Es ist unglaublich, dass jemand vom anderen Ende der Welt einen Song über diesen Berg geschrieben hätte. Seine Bedeutung und Magie den Einwohnern in einem Lied transportieren kann. Und ob ich eine englische Version habe.

Sie erzählt mir über das Verhältnis der Menschen dort zu ihrem Berg und ich bin baff, dass ich ohne jede Maori- Ahnung ein ziemlich genaues Bild davon im Text gemalt hatte. Damals auf den Hängen in Neuseeland. Mit diesem Input steuere ich das Wochenende lang über das Festival: Mildura – Schule – Levi – Gippsland – Festival – Levis’ Family – Riese. Bäng.
Ana schickte ich gestern Abend ein backfrisches Demo des Riesen in Englisch. Ich frage mich: Welche Lüfte bewegt der Flügelschlag des Schmetterlings dieses Mal?


Themenwechsel
Gehe in die Knie, mache einen großen Sprung und lande auf Eis.
Eis, Edward hatte seine Zeit damit. Erinnert sich jemand an den Film „Edward mit den Scheerenhänden“? Kommen da warme Erinnerungen hervor? Ich teile sie! Es gibt dort eine Szene, in der er einen Engel aus einem riesigen Block Eis schnitzt. Verliebt als Frankensteins Monster in die junge Wynona Rider – Geht das gut? Es muss unbedingt gut gehen.

Weil: Die Musik dazu ist weltfremd schön. Danny Elfman komponierte den Soundtrack und nannte das Stück für diese Szene: „Ice Dance“. Seit jeher transportiert mich dieses Stück nach anderswo und als ich im Januar nach dem Woodford- Zirkus ein paar Tage Ruhe im Regenwald um Maleny fand, dachte ich: Das machen wir! Wir, ein paar Musiker, die sich in Tamworth Mitte Januar treffen, eingeladen von Andrew Clermont. Ich schrieb ein Arrangement für eine kleine Besetzung dieses magischen Stücks, das eigentlich für ein 100-Leute-Orchester komponiert wurde. Es klein und doch wirksam zu halten, es funktionieren zu lassen, das war die Herausforderung! (Abgesehen davon, jedem so einen Zettel voller Noten in die Hand zu drücken) In Tamworth war es dann soweit, ohne viel Zeit für die Vorbereitung zu haben, brachten wir es auf die Bühne. Herz für dieses Stück!

Hier noch die obligate Information in Hochdeutsch: Es spielen von links nach rechts: Gage Stead Kontrabass, Parris MacLeod Klavier, Maik Antrack E-Bass, Jeri Foreman & Jude Iddison Geigen, Brookie Gillett & Marilla Homes Gesang.

Bis demnächst,
aus Adelaide

Foto: Peter Brown
Foto: Peter Brown
Veröffentlicht am
Kategorisiert in Australiyear

Reisen zwischen den Jahren

Und wieder zurück. Auf dem Hügel leuchtet Woodfordia in der Sonne. Ein paar Tage später haucht die Zeit zwischen den Jahren Energie und Leben in die Gegend. Zweitausend Künstler würden über die Woche ihre Welt auf die Bühne bringen. Ein Tag in Worten, war er so: Kurz nach sechs grillt die Sonne den Van und alles, was in ihm schlafen möchte. Das Frühstück passiert im wenig kühlenden Schatten die Grenze zwischen Tisch und Magen. Die Dusche ist eine Verwandte vom Dixie-Klo. Der Platz in ihr ist quadratisch und knapp. Nachdem das Wasser stoppt, tickt die Uhr. Nach etwa einer Minute hat die Sonne ihr nächstes Thermowerk vollbracht – einen Brutkasten, aus dem man besser schnell entkommt. Gegen neun ist eine Probe angesetzt, halb elf Üben, um zwölf Probe, um zwei chillen. Drei bis fünf die erste Show in Bills Bar. Zwischen fünf und neun gibt es ein paar inspirierende Konzerte sowie Cadi – Camp Dinner. Neundreißig bis knapp Mitternacht dann die nächste Show in Bills Bar. Sobald man dann schlurfend in den Van steigt, ist das Bett gern gesehen. Und trotzdem schleicht Kollege Nervtöter mit: Noch immer über 25°, noch immer Luftfeuchtigkeit wie nach einem Aufguss. Alles klamm. Als ob es etwas bringen würde: Doch Fenster öffnen will man außerdem wegen den wendigen Krabbel- und Kriechtieren auch nicht so recht. Und dann schüttet es immer wieder aus den Wolken, Aufguss Nummer sonstwieviel. Woodford wird Schlammloch und ohne die Anstrengung loszuwerden schreit die olle Sonne am nächsten Morgen wieder mit gefühltem Gasbrenner: Hallooo!! weiter geht’s! Und von vorn.

Woodford ist eine Woche ausklinken, Energie ausgeben und tanken. Denn die Dynamik, mit der das Festival zwischen Weihnachten und Neujahr lebt, ist großartig. Man nehme 20 Besucher, frage jeden nach seinem persönlichen Woodford – und wird 20 verschiedene Antworten bekommen. Die Bandbreite ist riesig, die Auswahl schwer. Die logistische Organisation ein Mammut und wird von 2400 Freiwilligen gezähmt. Es gibt mehr oder weniger versteckte Happenings während der Woche, auf der man Missionen erfüllt und mit einem Charakter Teil einer Parallelgeschichte ist. Mein persönliches Erlebnis mit starken Musikern zu spielen, ist dabei nur ein kleiner Teil. Genial war dabei wieder auch auf dem Fire Event vor 24000 Besuchern im Amphitheater zu spielen.

Auf dem Hügel tropft Woodfordia im Regen. Der Van rollt in der Gigantschlange von Autos hinaus, auf die Hauptstraße. In den Hügeln legt sich das Festival schlafen, für ein Jahr Neuplanung und Arbeit bis zum nächsten Weihnachten. Vorbei. Ach – schon? Nach etwa einer halben Stunde erreiche ich das nächste Ziel: Das Diamond Valley. Der Hügel präsentiert ein Tal vom Wald gefressen. Nur grün. Eine Schlängelstraße führt hinab und irgendwo dort unten liegt der Ort, an dem ich gerade schreibe. Der Sandweg ist der Eingang zu einem 220 000 Quadratmeter Grundstück. Es erstreckt sich über Hügel und Senken, überwachsen vom Regenwald. Hier und da sind Kunstwerke in das Holz geschlagen. „Häuser“ im weitesten Sinne. Ich denke zuerst an Peter Pan und sein Leben in den Baumhäusern. Sechs Meter über dem Boden schwebende Ebenen, die einen geraden Blick in die Baumkronen ermöglichen. Ein Haus wie ein Pizzastück geschnitten, ein Tonstudio drinnen und rundherum die Bäume, die später einmal Holz für eine große australische Gitarrenmarke werden. Nachts hört man nichts nur den kleinen Bach, die Blätter und die Wolken unter den Sternen ziehen. Ein Ort der Inspiration und Ruhe, nie war er edler als hier. Und so setzt sich langsam die Woodford- Erfahrung an einem goldenen Platz ab.

Reisen zwischen den Jahren

1945 mussten sie raus. Wer morgen noch da ist, wird erschossen. Der erste Sommer nach dem Krieg brachte die größte Wunde eines Lebens. Mit 13 Jahren musste Hilda den wundervollen Ort ihrer Kindheit im Schock verlassen, aus Todesangst. Mit ihr gingen Mutter und drei jüngere Geschwister. Zwei Schwestern, ein Bruder. Vater ist vom Kriegsdienst noch nicht heimgekehrt. Er wird es nicht. Über eine fast zweimonatige Strapaze von Fußmarsch und Viehwagentransport stoppten sie Anfang September in einem Flüchtlingslager einer Stadt an der Elster. Vom Turm aus hätte man jeden einzelnen Flüchtling zählen können. Weil der einjährige Junge krank war, weigerte die Mutter sich weiterzuziehen. Sie blieb mit den vier Schützlingen. Die Geschwister werden erwachsen, haben Familien, der Junge zieht in die Gegend, die anderen drei verbringen ihr Leben in der Stadt. Die jüngste der drei Mädchen stirbt 1985, gerade in ihren Fünfzigern. Sie verlor ein halbes Jahr zuvor ein Zwillingskind, hinterlässt drei Kinder, deren Familien, Enkel. Sie hatte nie erfahren können, dass einer ihrer Enkel später Musiker werden würde.

In den Jahren, in denen die Enkel groß wurden und ihr eigenes Leben haben, traf der Musiker Hilda öfter. Sie sprachen über ihre Herkunft, die Vertreibung. Er lernte die Geschichte kennen, die er gern von seiner Großmutter gehört hätte. Hilda und er verabreden sich. Mit über 80 würde sie noch einmal in ihre Heimat fahren. Nach Hause. Sie würden den Vormittag über fahren. Im Mai 2013 steht Hilda am See. Im Hintergrund der einzelne Berg, das Dorf umwachsen von Wald. Sie erinnert sich an jedes Detail, zeigt den kleinen Strand, an dem sie als Kind vor 70 Jahren baden war. Langsam läuft sie mit ihrem Rollator durch die Straßen, sie zeigt ihren Nachkommen das Haus, in dem ihre Familie wohnte. Sie zeichnet genau das Leben um 1940 nach. Sie fahren in das 5-Häuser-Nachbardorf, sie zeigt ihr Geburtshaus und Schulweg. Jedes Wort von ihr meißelt sich auf eine Granittafel in die Erinnerungen des Musikers.

Anfang September 2014 bekommt Hilda Besuch vom Musiker. Er unterhält sich mit ihr, soweit das möglich ist. Ihr Interesse ist wach, sie ist klug doch fällt es ihr schwer zu sprechen. Ihre Augen sehen schwach. Aber in ihnen strahlt das Licht eines erfüllten Lebens neben einer nie heilenden Wunde, die sie als 13-Jährige erlitt. In leiser Voraussicht gibt er ihr etwas, teilt etwas mit ihr, ohne das er nicht gehen könnte. Es sind drei Sätze in Tränen. Sie lächelt.

Ein paar Tage später sitzt er im Flugzeug und macht sich an die 16000 Kilometer nach Australien. Begegnungen, Musik, Orte, Weihnachten, neues Jahr, Woodfordia. Diamond Valley, das Studio im Baumhaus, im Gitarrenwald. Seine Mutter schreibt ihm dann und wann. Am Morgen findet eine Mail den Weg durch das Blattdach. Hilda ist am 29. Dezember eingeschlafen. Als Älteste war sie die Letzte mit Erinnerungen an damals.

Reisen zwischen den Jahren

Wie schaut man in die Wolken? Wie betrachtet man den Wald? Was denkt man über die Zeit in Australien, in diesem Moment? Man verlässt das vertraute Leben und stürzt in Neues. Und dann kommen sie, die von weit her aufziehenden Lichter. Sie flüstern nur leise. Man unternimmt eine Reise, verlässt doch mehr, als man zu Anfang sehen will. Überlässt, ist fern. Da ist Woodford mit seinem Lebensdrang. Und zugleich das Ende eines Lebens zuhause. Wir suchen uns aus, was wir leben und wie wir unsere Zeit verbringen. Hier im Wald leuchtet noch Woodford. Hier im Wald schlug gestern der Verlust ein. Er verglüht nicht, er sagt: Nimm mich auf. Es ist an dir, das einzuordnen. Beides geschieht gleichzeitig.

Aber: Was macht es einfacher, hier unten? Ich bin so froh, ihr gesagt zu haben, was für sie war. Froh, ihr Leben kennengelernt zu haben. Jetzt habe ich keine Chance mehr dazu. Aber ich habe etwas von ihr, was ich weitertragen werde. Es ist nicht weniger als ein Teil meiner Geschichte. Und ich frage mich: Wissen alle meine Lieben von mir, was ich für sie habe?
Habe ich meine Zeit mit ihnen bisher erfüllend genutzt?

Im September, bevor ich hinter mir Hildas’ Zimmertür schloss, sagte sie zu mir:
„Lasst Euch nichts zu Schulden kommen.“

Danke für Alles.

Veröffentlicht am
Kategorisiert in Australiyear

Reise Blau Ende

Kapitel Ende. Am 7. November begann die Reise durch Australien. Am 22. Dezember erreichte ich (streng nach deutschem Plan) Woodford. Jetzt geschehen hier die letzten Züge um am kommenden Samstag ein dickes Fest voller Musik, Theater, Performance, Basteln & Bauen starten zu lassen. Genial! Voriges Jahr spielte ich schon einmal mit, dieses Jahr fehlen mir -Jippie!:

– Übermüdung
– Jetlag
– Hitzeschlag

Alles kein Thema mehr da schon dran gewöhnt oder nicht zutreffend. Die Checkliste sieht gut aus, Essen, Bass, Muse und Vorbereitung für dieses dicke Festival stimmen.
Die Eindrücke der „Reise Blau“ müssen sich irgendwie erst setzen. Woodford ist kaum der richtige Ort dafür. Und nebenbei bemerkt: Gerade ist es 18:15 Uhr am 24.12. – Frohe Weihnachten!? In Anlehnung an den kulturellen und klimatischen Unterschied hier stelle ich fest:
Sonne, Zikaden, feuchtwarme Hitze, BBQs und blauer Himmel – das verjagt Weihnachtsfeeling. Aber so ist es hier, immer rein ins Blau der Andersartigkeit! Gut gehen lassen kann man es sich überall. Nur muss man manchmal den Blick abwenden, um zu checken, wie cool es in der heimatlichen Gegend ist.

at Woodford 🙂
Veröffentlicht am
Kategorisiert in Australiyear

Back At Byron

Dieses Mal von Süden. Vor gut elf Monaten reiste ich mit dem Bus aus Brisbane ab und erreichte an einem sommerregnerischen Abend das vom Neujahrsbesäufnis ausnüchternde Byron Bay. Ich blieb eine Woche und atmete den Geist des äußersten Nordostens von New South Wales. Oder mal Geographiefuchs: Am Cape Byron, der östlichsten Landspitze des australischen Festlandes.

Fast ein Jahr später gleitet der Surfer auf seinem Board über die elegant brechenden Wellen in die gemalte Bucht und wirft mir meine Erinnerungen aus der nassen Hosentasche in den weißen Strandsand. Back At Byron! Leicht Bekleidete säumen die Straßen, geben den Shops und Cafés ihr Geld, die Wellen purzeln wie seit tausenden Jahren auf den feinen Sand. Mein Kumpel Paul weilt seit ehedem durch die Gegend um Byron, seiner Heimat. Und ehe ich mich versehe, versuche ich neben all den Postkartenmotiven es aufs Neue zu finden.

Es – Versteckt sich zwischen den Hippieklamotten, die man im Spiegel sieht, sobald man eine Sonnenbrille probiert. Zwischen dem Duft von parfümiertem Stoff, zwischen den Kisten von Räucherstäben und Kaffee. Klemmt zwischen den fettigen Gitarrenakkorden groovender Rastafaris. Es springt dann hinaus auf die Straße, zwischen den Wabbershorts, den ärmellosen weiten Shirts, auf das Cap seines Trägers, von dort hinauf auf ein Palmenblatt und beobachtet den Weg des Windes vom Ozean, quer durch einen Wolkenberg in die Bucht. Der Turm von Byron versucht es in der Nacht gleich mir, leuchtet den Sichelstrand aus, unter den Wellen, unter den Muscheln – Nix. Und zwischen den Straßen – wo das Herz des Ozeandorfes klopft? Wo?

Es – Sobald ich die Grenze zum Byron Shire überschritt, hing es wie die Hitze in der Luft: Das Gefühl, da irgendwo an einem Ozean im Süden zu leben. An der Küste, direkt am Wasser. Den Surfstrand vor der Nase, die Sonne überall. Das Leben hier ist langsamer als anderswo, die Leute gehen vor der Arbeit entspannt zum Morgenschwimmen oder Surfen, haben ihren Kaffee, packen ein und arbeiten ihren Job. Schon heute sehe ich Paul in gut 30 Jahren am Strand sitzen, Gras rauchend, die Haare weiß, die Züge erfahren, langsam nickend. Er hat dann sein Leben ‚im Paradies‘ verbracht, wie er sagt. Nie lebte er anderswo, nur in Byron Bay. Fotos, Beweise einer Geschichte, zeigen die Anfänge, die Walstadtzeit und den Tourismus heute. Aber jedes Mal ist es da: Das nur schwer zu greifende Gefühl, ein Leben in dieser Wohltat zu verbringen. Man muss nie irgendwohin fahren, um ein schönes Motiv für ein Foto zu finden. Nie weit weg träumen, wo man gerade sein will. Hier in Byron Bay fühlen sich Tag wie Nacht an, als ob die Sehnsucht nach einem fernen, fernen blauen Ort am Pazifik ihr Ziel erreicht hat. Motor Stopp, aussteigen, wow sagen plus fühlen. Und das eigensinnige Gefühl namens Sehnsucht bestaunt die eigene Fähigkeit, überhaupt in der Lage zu sein, an einem Ziel anzukommen.

Vielleicht ist ein Teil davon das Anderssein der Umwelt: Wo man hingeht, fühlt man sich wohl. Man fährt ein paar Minuten und verbringt urzeitliche Stunden in Millionen Jahre altem Regenwald, steht unter 100m hohen Wasserfällen und wartet auf den nächsten Velociraptor hinterm Baum. Entspannt man dann auf einem Hügel des Byron ‚Hinterlandes‘, erblickt man das Drama der Natur: Ein nicht von Menschen formbares Abenteuer für die Augen klappt auf. Man hört noch immer das Meer rauschen, wie seit jeher. Die Bewohner der Gegend sagen dann immer einen Satz: „Byron and the coast here, that’s just a very beautiful part of the world.“ Wie banal und besiegend richtig. Manche meinen: „It never stopps being beautiful.“

Ich verneige mich respektvoll vor dem Tarnvermögens meines zu Erhaschenden: Dem Byron-Feeling. Worte können es nicht finden und doch macht jeder neue Anlauf mehr Spaß. Hierher zurückzukommen hat etwas magisches, kaum zu greifendes. Es ist da und füllt aus. Doch es bleibt ein guter Geist. Zwischen den warmen Wellen des Pazifiks. Sie spülen Lebensglück ans Ufer. Immerzu, seit Millionen von Jahren.

Veröffentlicht am
Kategorisiert in Australiyear

Wie weit sich Bänder dehnen

Jetzt bin ich fast drei Monate in Australien und habe ein Komplettpaket bekommen, aufgemacht, bestaunt, genossen und verstaut. Habe mit zurückhaltenden Augen, langsamen Gesten und andauernden Gesprächen etwas vom australischen Sinn der Dinge erfahren. Liege auf dem Bett im Van, am Fischerhafen von Crowdy Head. Dieser kleine Ort ist am lautesten, sobald die Vögel versuchen die Brandung zu übertönen. Es ist ein Fischerdorf, wie man es sich vorstellen will. Ringsum das Landende hinter dem Leuchtturm grämt sich ein großzügiger Pazifik, im Hinterland Bush, Wolken und die Berge. Alle weltfremd schönen Strände, es waren unzählige und es kommen weitere: Es fällt mir noch immer schwer, euch für wahr zu halten. Doch das bleibt jetzt kein Thema. Denn: Hier am Hafen in Crowdy Head wundere ich mich zu gern über starke Verbindungen nach Hause. Die habe ich ganz unterschätzt. Verbindungen klingt nach Buchpalaber. Ich nenne sie: Vermissen!

Wie weit sich Bänder dehnen. Bestes Deutschland, hier meine offizielle Vermiss- Liste der Dinge, ganz kulturegoistisch und ohne political correctness:

– die Vorweihnachtszeit // Australien macht da einfach überhaupt nicht an. Übrigens: War was in den Schuhen heute Morgen?

– Kebap // Halloumi, Fallafel & Co // es gibt sie hier aber sie sind nicht der Rede wert

– Brot // ich will die Watteteigballons, die hier ‚Brot‘ genannt werden gerne ungeschehen machen

– das ewig reifende Alter unserer Kultur // gleich wieder ein Sprung ins Tiefwasser, – die Struktur, mit der unsere Dörfer, Städte und Länder gebaut sind, ebenso unsere Geschichte in Kunst, Musik, Dichtung und Architektur, das ‚Wie‘ in Deutschland

– das wohlige Gefühl, aus einem kalten Abendtag in ein gewärmtes, isoliertes Haus zu gehen, die Türe hinter sich zu schließen // ‚warm‘ ist hier so normal wie ‚hell‘ am Morgen

– die Attitüde ‚gründlich‘ // und einige weitere Tugenden, die ‚Made In Germany‘ weltbekannt gemacht haben

– Kartoffeln und Quark // bloß der Versuch, die weiße Masse hier zu erklären, schlägt fehl

– Meckern // hier beißen sich die Leute lieber die Lippe ab, als mal ordentlich das Maul aufzumachen

Die Liste lässt sich fortführen, aber was sagen die paar Stichpunkte? Was würdest du so weit weg von Zuhause vermissen? Gerade leuchten die unscheinbaren Belanglosigkeiten am Meisten durch. Mal sind sie obenauf, mal automatisch im Ablauf einer Aufgabe eingebaut. Wie hast du ein gutes Abendessen? Wie sorgfältig erledigst du deinen Job? Wie oft macht man sich im Heimatland darüber am Tag Gedanken? Vieles von dem, was ich zuerst aus den Augen verlor, sobald ich in Australien ankam, schleicht nun wieder aus dem Versteck. Ich denke, es ist das Wegsein, der Abstand, der das Licht auf normale Dinge lenkt. Die dann schön sind, nicht nur wegen dem Licht.

Als Kind habe ich oft mit einer Lupe gespielt. Je weiter weg ich sie vom Käfer hielt, umso größer wurde er.
Das hat Spaß gemacht.

Veröffentlicht am
Kategorisiert in Australiyear

Westen

„Looks like Wales“ meinte Mr. James Cook, Schiffskapitän, im Anblick des neu entdeckten Landes. Nach Wales geht es also dann demnächst, das ist weniger weit weg als Australien und wohl auch so hübsch. Aber davon erinnert hier gerade nichts. Auf dem Beifahrersitz schreibe ich diesen Artikel und habe um mich herum nichts außer trockenes Gestrüpp auf 180° Sichtbreite. Outback. Nur geradeaus, Himmelblau, etwas Weiß dazwischen. Dann und wann geht eine Sandpiste vom Highway ab und führt auf ein drahtiges Tor zu, rostig. Dahinter läuft der rote Weg ins Nirgendwo. Oder trifft auf ein paar Holzhäuser am Horizont. Dort vermute ich ein paar Eigenbrötler, die ein Leben als Outback- Farmer führen. Kein Funknetz, es vergehen Minuten, ehedem ein neues Auto entgegenkommt. Wie lange es wohl dauert, bis es dem Australier auf solchen Straßen langweilig wird?

Auf dem Weg hierher war zuerst Sydney im Rückspiegel, der Highway dröselte sich dann hinauf in die Blue Mountains, dort über Katoomba, Blackheath und Lithgo entlang nach Bathurst. Das ist die erste Stadt in Central New South Wales, dem Eingangstor zum Westen. Und wie der Van den Highway die Berge hinunter rollte, verstand ich augenblicklich die Verwegenweit, das Archaische und Nebulöse eines Suchenden: „Nach Westen“ wäre seine Antwort auf die Frage, wohin es gehen sollte. Und dieses „Westen“ verleiht Flügel. Man muss noch nicht einmal eine Dose öffnen. Sondern nur die Berge im Spiegel sehen, die nicht endenden Hügel vor einem. Die Weite und Großzügigkeit, mit der in Australien die Landstriche auf der Leinwand liegen. „Looks like Wales“? Könnte gut die Gegend um Bathurst bis hinaus hinter Cowra sein. Die Hügel und wild wachsenden Eukalyptusbäume, die Ungepflegtheit mit altenglischem „well…“ Sobald eine Ladung Landschaftsgestaltung verstrichen ist, wartet hinter der Kurve, dem Hügel oder der Kreuzung die nächste. So hübsch. Was kommt danach? Wales ertrinkt nicht in den Transatlantikbeziehungen, es wird vom Bush besiegt. Das ist jenes Strauchgemenge aus Gelb, Grau, Grün, nochmal Grau und Rot, dass ab spätestens West Wyalong alles Romantische vertrieben hat. Flach, weit, trockener, unwirtlicher. Und: Einsam. Man freut sich auf den nächsten großen Punkt auf der Landkarte, um sich dann zu fragen: Warum ist ein Ort mit 2000 Einwohnern so groß auf der Landkarte verzeichnet? Ist es ein Knotenpunkt, ein Zentrum? Gerade nehme ich mir eine Karte von Australien in die Finger. Tatsächlich ist West Wyalong darauf verzeichnet. Ich grinse, wenn ich mir eine Europakarte vorstelle und darauf einen Ort wie Prösen eingetragen sehe.

„Nach Westen“ verliert sich ins Abstrakte einer Definition sobald man weiter Richtung Hay fährt. Kein Grasland mehr, nur noch Steppe. Man hört den Wind, einen Vogel von weit her. Mal ein Auto. Was noch? Da muss doch noch mehr sein? Hallo? Stille. Und gleich renne ich mit meiner Spielidee zum Patentamt: „Ich höre nicht, was du sonst hörst!“ Davon mindestens sechs verschiedene Dinge. Hay selbst ist dann eine Hauptstraße mit allem Wichtigen dran und kleinen Wohnvierteln nebenher. Der „Nach Westen“ Plan ist auch hier nicht am Ziel, aber man will gern vom Pferd steigen, seinen Colt ziehen und einen Hut durchlöchern, dann mit Dr. Emmet Brown den Fluxkompensator wieder fit machen. Die Mauern der Stadt werden dabei zum Schutz vor der rauen Weite da draußen. Gemütlich. Quer durch. Und weiter!

Gestern besuchte ich Mick und Kate, Mandolinenbauer und Sängerin, die ein riesiges(!) Grundstück besitzen. Auf dem Hügel das Haus. Er selbst Zimmermann, hat es gebaut und lud ein. Auf den Zehenspitzen der Blue Mountains liegen das Grasland, die Werkstatt und die von Kängurus bewohnten Gumtree- Wälder. Nach einem 30- minütigen Spaziergang in eine Richtung hatte ich noch immer nicht die Zäune erreicht. Also umkehren, Übersicht verschaffen. Weiter oberhalb des Hauses gibt es einen Hügel, mit einer Schneise durch den Wald. Von dort sah ich hinab, über das riesige Grundstück hinaus, weit in die Landschaft – und verstand den alten Cook.

Veröffentlicht am
Kategorisiert in Australiyear

Fremdlandlangeweile

Van abholen,
umbauen
Ein Toyota Hiace Commuter
14- Sitzer
Sämtliche Sitze herausbauen und verkaufen
Dinge einkaufen
verbauen
Einrichten, soweit möglich und das Ziel
die Straße
vor Augen haben

Das beschreibt die letzten Tage am Besten. Dabei fließt einem der Links-rum-Verkehr ziemlich eindringlich in die Venen. Bevor das System wieder im Kopf verankert ist, schalte ich den Scheibenwischer an, wenn ich eigentlich blinken will, mache die Tür auf, wenn ich schalten will. Die Zeit, die wir zum Umbauen des Vans benutzen, sorgt für Routine. Oh wie ist es schön: Stau. Sydneys‘ Feierabendverkehr, die Sonne brät die Windschutzscheibe. Keine Frage nach den Insassen. Links und rechts neben mir stehen die Autos und wie gut lässt sich das Stressmanagement der Aussies gegen 16 Uhr auf der Straße studieren. Schönes Australien? Was passiert damit, wenn man zwischen dieseldurstigen Metallkisten eingepfercht ist? Warten, abhängen, sehen, wie stark Sydney auf Autos basiert.

Rhyde // Sydney
Rhyde // Sydney

Dieses Bild entstand gestern. Wir haben eine Couch aus Rhyde abgeholt. Im Hintergrund ist die Skyline der Innenstadt zu erkennen. Sydney ist weit ausgestreckt, die Stadt ist in die Breite gebaut. Nicht in die Höhe. Viele Häuser sind eingeschossig, dafür flächig. Und wie kommt man von hier nach dort? Über die Straße. Fahren, fahren fahren. Aufregend langweilig.

Das Aufstellen für die Abreise nimmt die meiste Zeit in Anspruch. Morgen schaffen wir den Van zum Service, dann los.

Und Musik? Für Marcus habe ich ein paar Stücke im Studio eingespielt. Klassische irische Songs in einem Bush-Australien-Wirbel. Dazu ein paar Grooves für ein Ostinato. Das waren in dem Fall ein paar Elemente Percussion, ein Hauch Gitarre und ein Thema auf einem Akkordeon. Das alles lässt man von be-geisternden Musikern spielen. Heraus kommt eine Mischung aus Worldmusic, Jazz, afrikanischem Gewürz.
Dazu bastele ich an einer Musik für ein Kurzfilmfestival.

Veröffentlicht am
Kategorisiert in Australiyear

Australia!

Back in Oz! Wahoo!

Bondi Beach // sdny

Seit Letzter Woche Freitag bin ich zurück in Australien. Mit nur einem Hinflugticket ausgestattet wartet das Abenteuer Down Under. Gerade: Sydney auschecken, organisieren, Landkarte malen, Auto an den Start bringen! Work work work! No worries!

Veröffentlicht am
Kategorisiert in Australiyear

Tourblog // post Estland

Wir hatten einen fabulösen Gig im Philly Joe’s
Jazzclub
Heute morgen
nach 25 Stunden Fahrt
in Berlin angekommen
ab ins Bett
Die Reise morpht jetzt in eine Truhe
Darin wachsen Erfahrungen
Zu neuen Ideen
Zu neuem Geist
Einer neuen Sicht
Neue Sicht auf das Land
Neue Sicht auf den Kontinent
den ich verlasse

Tourblog // Haap? Salü!

Ein Paket Leben: Gehe um Mitternacht in eine Ofensauna. Heize auf 90°. Zieh’s durch. Gehe danach kalt duschen. Dann hinaus, auf die Wiese neben dem Wald. Die Wolken, die zur Küste reisen und vom Licht der alten Stadt sichtbar gemacht werden, schau sie lange an. Berühre mit deinem Körper den Wind, der sich zusammen mit den Wolken aufgemacht hat, das Meer zu besuchen. Lausche den Eichen, lausche den Birken. Öffne das Paket: Lege dich rückwärts ins regennasse, kalte Gras. Bleib liegen. Schau in die schwarze Nacht. Fühle.

Keine Zeit dazwischen gehabt. Freitagabend hatten wir das zweite Konzert auf dem Schulhof. Dort waren vorher ein paar Jazzkids am Start, die allesamt ‚andere‘ Instrumente spielen, als die, an denen sie dort gerade tätig waren. Ein Akkordeonist als Drummer, ein Pianist als Bassist und so lala. Tatsächlich wussten die schon, was sie machten und witzig war es darüber noch, weil es überall wackelte. Danach lernten wir ein paar Leute kennen, die auf der Sofawiese es sich bequem machten und jammten ein paar Songs in Eesti und Englisch. Musik verbindet. Klingt wie ein Kultusministerentwurf, stimmt aber. Wir liefen weiter durch die erleuchtete Altstadt und landeten in einem Restaurant namens „Clayhills“. Dort spielte Jonathan und Rauno schon ein Set. Wir würden später dazu stoßen. Die Bühne- ha – ein Schaufenster von 1,50×2 m. Überall Leute und dann wird aus so einem Puppentheaterlook eine echte Party. Wir standen zu viert in diesem Fenster, Jonathan, Marilla, Rauno und ich. Andrew und Chris saßen unten und schmierten mit ihren Instrumenten durch die Bratensoße der Gäste. Die Leute hatten ordentlich Laune und: Um ein Uhr nachts in Tallinn „We come from a land down under“ zu spielen – Original von den Aussies – streichelt das Fernweh.

Genusseinwurf: Warmes, cremebraunes Milchmischgetränk in roter Tasse auf gelbem Träger. Zweimal.

Abkürzungseinwürfe:

Nach dem Gig frachtete uns Rauno auf eine Party in Kalamaia, einem kleinen Bezirk von Tallinn. Draußen. Bäume, Farben, Electro. Unverputzte Industriegebäude, Mauern aus weißen Sandsteinen. Kenne ich noch aus Erichs’ Zeiten. So sahen die attraktiven Partys in Berlin vor ein paar Jahren aus. In den Gassen hängen die Youngsters herum, bringen Leben in die von Touristen befreiende Nacht.

Samstag Gig im 20st century. Davor gab es ein klärendes Streitgespräch. Häng lange mit denselben Leuten irgendwo herum und dann ist die Frage, was man mit den entstehenden Differenzen macht. Wegtun und schöninterpretieren oder raus damit? In einem Buch oder Gefühl konservieren und verarbeiten oder finstere Blicke üben? Einige Dinge, die für das gute Zusammenspiel auf einer zwischenmenschlichen Ebene wichtig sind, waren mir einen Streit wert. Schwierig war dabei, nicht zu wissen, wie andere Kulturen mit Diskussionen und Streit umgehen. Ich bin so herausgegangen: Ecken und Kanten geklärt, jeder weiß, wie er mit dem anderen klarkommt. Aber bleibt nicht der Eindruck, man fährt über nackte Füße, sobald man ‚redet‘ worüber nicht geredet werden will?

Sonntagabend dann der Hosteljam. Ich habe fast drei Stunden am Stück gespielt. Davon waren gut 80 Minuten purer Rhythmus. Viele Percussionisten, ein paar Gitarren und das australische Didg wandelten die Lounge des Hostels in einen orientalischen Klangkörper. Eine weitere Reise ins Exotische, ins Farbenspiel. Auf dieser Reise traf ich auch Bruno wieder. Der Schlagzeuger vom ersten Schulhofjam, kam auch zur Session und wir kamen ins Gespräch. Nach einigen Strahleaugen meinerseits, stand der Plan fest: Am Montag mache ich einen Ausflug. Bruno bot mir an, mitzukommen.

Die Geschichte:

Montag, vorher: Studio. Zwei neue von Jonathans Songs spielte ich um die Mittagszeit ein. Ein Techniker namens Casper. Könnte deutsch sein, so rahmenhaft arbeitet er. Als ich fertig war, musste ich schnell zurück, um meinen Link zu bekommen. Durch den Regen klackerten meine Schuhe über das alte Kopfsteinpflaster, schnell Tasche packen! Kurz später saß ich bei Bruno im Auto, der noch einen 9. Klässler in seine Heimatstadt mitnahm. Bruno drückte mir gleich eine Art Quark-Rosinenblechkuchen in die Hand. Mal probieren? SchussTrefferVersenkt! Der Fahrer grinst, der Beifahrer ist still bei lecker Kuchen. Das war so gut und anders als bekannt. Nächste Offensive: Ich bekomme ein dunkles, estnisches Brot geschenkt. Braun wie eine Bitterschokolade. Nachdem ich einige schon probiert hatte, postuliere ich hiermit: Brot in Estland ist ebenbürtig, wenn nicht besser als in Deutschland! Das heißt was. So gut, so lecker. Zeilen mit dem Feiern über Essen zu verschwenden, macht immer Laune :). Mein Geschenk ist darüber hinaus ein Vampirvertreiber mit 50 Meter Umkreiswirkung, so viel Knoblauch ist da drin. Brot Estland – Deutschland 1:0! (Wer mir den Vergleich als zu ernst übelnimmt, guckt in den Spiegel und versucht mal mit der Hand eins der beiden Augenlider zu schließen und wieder zu öffnen. Und, geht?)
Wir fuhren über die Autobahn nach Westen, bis raus an die Küste in die kleine Stadt Haapsalu. Verbrachten einen fetten Abend. Zum Schluss öffnete ich das Paket Leben.

Heute morgen lief ich durch die Stadt und erforschte dann das alte Schloss. 1228 als Kloster erbaut, später zum Schloss erweitert. (Sogar mit Geheimtunnel ins 3km entfernte Nachbardorf, wow!) Gern in Geschichte zugehört, weiß ich, dass die Mittelältler alle etwas hobbitartiger von ihrer Körpergröße am Start waren. Aber letztlich durch diese kleinen Steindurchgänge zu schreiten, das Raue, Unnachgiebige des damaligen Lebens auf dem Schloss nachzuvollziehen, war beklemmend. Die steinernen Kellergewölbe, die höhlenartigen Räume, keine Heizung, keine nennenswerte Wärmedämmung. Einige Räume waren nur Löcher im Dreck.
Im Schlossturm war das Hospital. Ok- Ich hab’ einen Pflichttermin beim Arzt im Turm? Nach ‚diesen‘ Bildern der Behandlungsmethoden, die dort aushingen, hätte man mich mit einer Seilwinde hochschleifen müssen! Schmiedezangen, Keile & Schwerter- für den Arzt! Das Instrumentarium wurde aus der Werkstatt zweckentfremdet, so sah es aus. Auch wenn diese Darstellung auch von den Fähigkeiten des malenden Künstler abhängt. Aber wie rabiat manche Methoden, vor allem beim Zahnarzt, auch waren: Verstanden haben die Menschen damals, dass sie die Kranken von den Gesunden fernhalten müssen. Daher auch das Hospital im Turm, weit oben, frische Luft, keine anderen Menschen. Alte und Kranke, sie waren eine Gefahr für das gesunde Schlossvolk. Heute sind wir an Heilung gewöhnt, mit Kranken in Kontakt zu kommen, spielt für uns weniger eine Rolle. Damals war es gefährlicher.
Gemütlich war es später trotzdem, innerhalb des Geländes zu laufen; um das Schloss herum beschützte eine Mauer ein noch größeres Areal.

Jetzt nähere ich mich Tallinn. Ich sitze im Bus. Servicedetail: In diesem Bus gibt es Strom. In diesem Bus gibt es freies Internet. Yeah. Wlan Router an board und dann über das Funknetz in die Welt.

Zuetzt: Was den gestrigen Abend so Klasse machte, war der Umstand, dass ich mit Bruno einen fantastischen Kite Lehrer kennengelernt habe! Einen lange gehegten Wunsch habe ich mir gestern Abend erfüllt, an der Ostseeküste Estlands: Das erste Mal kiten! Yeah! Eigentlich ‚nur‘ ein großer Lenkdrachen, aber man kann mit ihm fliegen und im Wasser ne Menge Spaß haben. Loopings drehen und Sounds produzieren. Es war ein Anfängermodell, Folienbauweise. 2 Quadratmeter Fläche. Aber es zog schon ordentlich. Was für ein spänstiges, wendiges Viecht, ich nannte das Ding: Robo.

Und ich kann mir gar nicht erklären, wer da diese Seile hinabgelassen hat…

da hoch?
da hoch?